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einer adligen Familie an ein Kloster Aufgabe genug. Trotzdem leistete sie
abgegeben wurde. Zwar war die Fami- Erstaunliches weit über diesen Be-
lie Hildegards sehr religiös, so war ei- reich hinaus. Sie begab sich regelmä-
ner ihrer Brüder ein Bischof, und eine ßig auf Predigtreisen und sprach vor
Schwester nahm den Schleier. Trotzdem Kirchen zu dem Volk. Dabei griff sie
verwundert es, dass Hildegard im zarten auch die Priester und Oberen der ka-
Alter von acht Jahren zu einer Klausnerin tholischen Kirche an, verurteilte deren
gegeben wurde. Viele Klausner wurden Hang zur Gottlosigkeit und kritisierte,
damals lebend eingemauert und nur ein dass sie die Lehren des Christentums
kleines Fenster für die Versorgung blieb deshalb nicht genügend verbreiten
offen. Bei der Klausnerin Jutta von Spon- würden. Offen prangerte sie auch die
heim war dies etwas anders. Denn die Priesterschaft an, da sie kein Halt für
Klause war in der Frauenabteilung des die Kirche wären. Sie beschuldigte
Klosters untergebracht, und die Kammer sie, raffgierig zu sein und darüber ihre
war mit einer Tür versehen, die sie selbst Pflichten zu vergessen. Auch geriet
zwar nie nutzte, aber ihren Schülerinnen Hildegard immer wieder mit Kaisern,
offenstand. Fürsten und Bischöfen aneinander,
doch dies geschah immer in der fes-
leichwohl war es ein einsames ten Überzeugung, dem Wunsch Gottes
GLeben, das die kleine Hildegard damit zu folgen. Sie versuchte, die aus
mit hochgestellten fortan führte. Ihre Verwandte, Jutta den Fugen geratene Welt der katholi-
rer Epoche und nah von Sponheim, lehrte Hildegard Latein schen Kirche wieder zu schließen und
Menschen kein Bl und Mathematik. Langsam erwuchs setzte sich massiv für die Erneuerung
Da sie von ihren Mi aus der Klause ein eigenständiger der Kirche im Glauben ein.
und geschätzt wur Konvent, und als Jutta von Sponheim
ungewöhnliche Stell starb, wurde Hildegard von den übri- ür ihre Überzeugungen trat die Äb-
ward sehr unterstüt gen Nonnen zu ihrer Magistra gewählt. Ftissin ihr ganzes 81-jähriges-Leben
Immer mehr ergab sie sich ihrem ein. Dabei war sie so unglaublich viel-
bgleich Hildeg Schicksal, das sie fortan als Wunsch seitig interessiert, dass ihre Werke
Deutschland s Gottes ansah, jedoch nie gewollt hatte über Naturkunde noch heute geschätzt
deren Ländern als und ertrug Schmerz und Not. Ihr be- werden. Sie trug Behandlungsmöglich-
wurde der Heilig rühmtes Kloster auf dem Rupertsberg keiten für Krankheiten zusammen, ka-
nicht vollständig vo baute sie, da sie in einer Vision diese talogisierte die Flora und Fauna, kom-
Kirche durchgeführt Aufgabe von Gott erhielt. Trotz ihrer im- ponierte Kirchenlieder und schrieb mit
Prüfung durch den mer wiederkehrenden Gebrechlichkei- der Hilfe eines Mönches ihre Visionen
vor 2012 nie offiziell ten, wie zeitweiligen Lähmungen, ging nieder. Hildegard nur auf ihre medizini-
obgleich der römi sie sehr viel auf Predigt-Reisen und schen Lehren zu reduzieren, wäre ein
der Hildegard von B führte einen erstaunlichen Briefverkehr, großer Fehler. Zwar ist die Hildegard-
als Heilige verzeich von dem heute noch über 300 Briefe medizin gerade wieder sehr aktuell,
September als Ged erhalten geblieben sind. doch hat die beindruckende Benedik-
tinerin weit Größeres geleistet. Für Hil-
Der erstaunliche ie war für ihre Zeit nicht nur revo- degard war der Bezug zu Gott, zum
Hildegard v Slutionär, sondern sie ringt auch Kosmos und zu der Natur stets wich-
heute noch vielen Menschen unglaub- tig. Alles verknüpfte sie sinnvoll mitein-
s mutet schon lichen Respekt ab. Die Führung des ander und leistete so auf diese Weise
dass ausgerech Klosters war für die Äbtissin eigentlich wahrhaft Erstaunliches