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des Sachverhalts abgeben. Eine unterschiedliche Behand- vertritt der Senat die Auffassung, dass der Versicherungs-
lung dieser Sachverhalte ist nicht gerechtfertigt. … nehmer im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast bei
Es ist zweifelhaft, ob der IV. Senat des BGH in Prämienanpas- entsprechendem Vortrag des beklagten Versicherers zur fi-
sungsverfahren einen Vortrag „ins Blaue hinein“ entgegen der nanzmathematischen Kalkulation (§ 155 Abs. 1 VAG) eine Un-
Auffassung des III. und VII. Senats generell für ausreichend hiel- richtigkeit nicht einfach behaupten darf, sondern konkrete und
te. Dies liefe in letzter Konsequenz darauf hinaus, dass auch greifbare Anhaltspunkte für die behauptete Unrichtigkeit vor-
der redliche und rechtmäßig handelnde Versicherer allein auf- tragen muss. Dies gilt erst Recht, wenn der Versicherer sogar
grund der durch nichts gestützten Behauptung eines Versi- die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung stellt. Für Über-
cherungsnehmers, die Beitragsanpassungen seien materiell legungen zur Möglichkeit eines Bestreitens mit Nichtwissen
rechtswidrig, gezwungen wäre, im Rahmen einer Beweisauf- ist schon grundsätzlich, jedenfalls aber bei Zurverfügungstel-
nahme Versicherungsunterlagen u. U. für viele Jahre vorzule- lung der Unterlagen durch den Versicherer kein Raum.“ Mithin
gen und die Beweisaufnahme auch noch vorzufinanzieren, §§ müssen auch die ausführlichen Kalkulationsgrundlagen vom
402, 379 ZPO. Auch das brandenburgische Oberlandesge- Versicherer gar nicht erst vorgelegt werden, wenn zuvor der
richt geht im Beschluss vom 13.02.2019 – 11 U 119/17 aus den Kläger nichts konkret substantiiert zu vermeintlichen Fehlern
dargelegten Gründen von einer Beweislast der Klagepartei für vorgetragen hat, sondern diese nur ins Blaue hinein behaup-
Rückforderungsansprüche aus. Die Klagepartei hat keine kon- tet. So sagt es auch das LG München I im vom 21.04.2023 –
kreten Anhaltspunkte für die materielle Rechtswidrigkeit der 12 O 12077/21: „So steht dem redlichen Kläger, der eine Klage
streitgegenständlichen Beitragsanpassungen vorgetragen. erhebt, um seine aufgrund konkreter „tatsächlicher Anhalts-
Sie beschränkt sich darauf umfangreiche Ausführungen dazu punkte“ … bereits bestehenden Zweifel an der materiellen
zu machen, was ihrer Ansicht nach die Versicherung und der Rechtmäßigkeit der ihn konkret betreffenden Beitragsanpas-
Treuhänder im Rahmen des Prüfungsverfahrens alles zu be- sungen gerichtlich prüfen zu lassen, der Rechtsweg zu den
achten und zu berücksichtigen haben, ohne jedoch anzuge- Zivilgerichten ohne nennenswerte Hindernisse offen. Versperrt
ben, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen ist der Rechtsweg zu den Zivilgerichten dagegen einer vom
bei den streitgegenständlichen Beitragsanpassungen der Be- konkreten Einzelfall völlig losgelösten Klage „ins Blaue hinein“
klagten nicht eingehalten worden sind. Trotz Hinweis des Ge- mit dem Ziel, den Versicherer bloß „auszuforschen“ und ohne
richts beharrte die Klagepartei darauf, es reiche für sie aus, die konkrete Tatsachengrundlage und damit „aufs Geratewohl“
Rechtmäßigkeit einfach allgemein zu bestreiten. Damit ist ihr überhaupt erst einmal ermitteln zu lassen, ob sich (erst) im
diesbezüglicher Vortrag bereits unbeachtlich.“ Laufe des Zivilprozesses überhaupt Zweifel an der materiel-
len Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen ergeben.“
Massenklagen gegen Beitragsanpassungen beeinträchti-
gen den Rechtsfrieden - Das LG München I weist im Urteil Bereits gefasste Beweisbeschlüsse werden aufgeho-
vom 10.03.2023 – 12 O 6308/22 – explizit auch darauf hin, ben – Gutachteraufträge ebenso - Wie der genannte Be-
dass die bereits hohe Auslastung der wenigen Gutachter zu schluss des OLG Köln und die sich damit entwickelnde neue
Beitragsanpassungen die Verfahren auf viele Jahre in die Rechtslage dazu führt, dass selbst bereits gefasste Beweis-
Länge ziehen würde, wenn für Beitragsanpassungen eine beschlüsse zu Gerichtsgutachten aufgehoben werden, zeigt
Ausnahme von den normalen Regeln der Darlegungs- und das Urteil vom 03.08.2023 - 4 O 464/19 – des LG Wupper-
Beweislast angenommen würde: „Darüber hinaus würde eine tal: „Nachdem die von der Beklagten zur Gerichtsakte ein-
derartige Annahme einer Pflicht des Gerichts zur Durchfüh- gereichten technischen Berechnungsgrundlagen der Kläger-
rung eine oben dargestellten Beweisaufnahme zur materiel- seite zugänglich gemacht worden sind, hat das Gericht am
len Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen … auch das 08.06.2022 einen Beweisbeschluss betreffend die versiche-
verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes aus rungsmathematische Richtigkeit der Anpassungen erlassen.
Art. 19 Abs. 4 GG und den Rechtsfrieden beeinträchtigen: Mit Beschluss vom 15.09.2022 hat es darauf hingewiesen,
dass es nach erneuter Prüfung der Sach- und Rechtslage
Tatrichter selbstständig zu beurteilen ist … und deren Prüfung unter Berücksichtigung der Entscheidung des OLG Köln mit
daher mit zumutbarem (Zeit-)Aufwand verbunden ist, erfordert Beschluss vom 18.05.2022 - 20 U 91/21 den Vortrag der Klä-
dagegen eine Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßig- gerseite für unsubstantiiert erachte und die Aufhebung des
keit die Einholung eines Gutachtens eines neutralen versiche- Beweisbeschlusses in Aussicht gestellt. Mit weiterem Be-
rungsmathematischen Sachverständigen … Die bundesweite schluss vom 10.02.2023 hat es den Beweisbeschluss auf-
Anzahl derartiger Sachverständige ist enorm gering; entspre- gehoben und Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt
chend sind die wenigen in Betracht kommenden Sachver- … Eine konkrete inhaltliche Unrichtigkeit zeigt der Kläger nicht
ständigen seit Jahren und absehbar für viele weitere Jahre auf. Er stellt lediglich pauschal und ohne jeden Fallbezug die
bereits mit gerichtlichen Gutachtenaufträgen überlastet. Die einzelnen Anpassungsvoraussetzungen in Abrede. Dieser
gerichtliche Einholung eines Sachverständigengutachtens
zur materiellen Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen ist Vortrag ist unsubstantiiert, und zwar unabhängig davon, ob
entsprechend mit enormem Zeitaufwand und einer enor- man die Darlegungs- und Beweislast bei dem Kläger… oder
men Verzögerung des Zeitpunktes einer gerichtlichen Ent- - abweichend von den allgemein anerkannten prozessualen
scheidung und somit auch des Zeitpunktes des Eintritts von Grundsätzen - bei der Beklagten sieht. So oder so liefert der
Rechtsfrieden verbunden …“ Kläger zu dem Streitfall keinerlei Tatsachen, die einen gewis-
sen Anhaltspunkt dafür liefern könnten, dass die Beitrags-
Gefestigte Rechtsprechung macht unsubstantiiertes Be- anpassungen nicht korrekt vorgenommen sein könnten …
streiten unmöglich - Auch das OLG Düsseldorf bestätigt im Spätestens nachdem die Beklagte dem Kläger und seinem
Urteil vom 16.12.2024 - I-9 U 144/23, dass der Kläger „konkrete Prozessvertreter die technischen Berechnungsgrundlagen
und greifbare Anhaltspunkte für die behauptete Unrichtigkeit zugänglich gemacht hat, können sie sich nicht mehr auf ein
vortragen muss“: „In mittlerweile gefestigter Rechtsprechung etwaiges Wissensdefizit zurückziehen: Der Kläger ist auf Pro-